
PATTAYA, Thailand – Wer in Pattaya lange genug hinter dem Steuer sitzt, stößt früher oder später auf eine ernüchternde Wahrheit: Diese Stadt funktioniert nicht nach Verkehrsregeln, sondern nach Instinkt, Improvisation – und manchmal purem Glück. Jahrzehntelang war Pattayas Fahrkultur von einer Art „kontrolliertem Chaos“ geprägt: Motorräder schießen durch Lücken, die eigentlich nicht existieren, Autos halten, wo sie nicht sollten, und Fußgänger laufen mit bemerkenswerter Gelassenheit in den fließenden Verkehr. Irgendwie funktionierte es – die Unberechenbarkeit galt als Teil des Stadtcharakters. Doch immer mehr Bewohner sagen: Das Chaos fühlt sich nicht mehr kontrolliert an, sondern gefährlich.
Ein britischer Langzeitresident, der seit 1994 in Pattaya fährt, fasst die Situation dazu schonungslos zusammen: „Es ist Thunderdome. Pass dich an – es wird sich nie ändern.“ In drei Jahrzehnten war er in drei Unfälle mit thailändischen Motorradfahrern verwickelt; jedes Mal wurde die Schuld automatisch den Fahrern der Motorräder zugewiesen. Bei seinem jüngsten Vorfall entschied der zuständige Beamte praktisch im Vorbeigehen, wer verantwortlich war: „Kein Alkoholtest nötig, ich rieche es schon von hier.“ Eine Bemerkung, beiläufig formuliert – und symptomatisch für ein System, in dem schnelle Urteile gründliche Untersuchungen ersetzen.
Die meisten Expats erwarten nicht, dass Pattaya sich wie London oder Sydney verhält. Sie verlangen keine Perfektion, sondern Konsequenz – doch gerade diese fehlt. Ausländer werden häufig für kleinere Verstöße zur Kasse gebeten, während einheimische Motorradfahrer ohne Helm oder mit mehreren Passagieren problemlos durch Kontrollpunkte fahren. In Bangkok sind Helmkontrollen tägliche Routine, in Pattaya hingegen reine Glückssache. Einige Einheimische sagen schlicht: „Ich habe kein Geld für die Strafe“, und dürfen weiterfahren. Ausländer erleben selten diese Nachsicht, was über die Jahre die Wahrnehmung verstärkt hat, dass für sie strengere Regeln gelten. Der Unmut ist deutlich spürbar.
Doch das Problem liegt nicht allein bei der Polizei. Pattaya ist eine Stadt, die auf persönlicher Freiheit, flexiblen Grenzen und einer großen Risikobereitschaft basiert. Verkehrsregeln werden oft als Empfehlungen betrachtet, Improvisation ist Lebensstil. Ein Langzeitresident erinnert sich an den Rat, den er an seinem ersten Tag hörte: „Schau dreimal, bevor du eine Einbahnstraße überquerst – ein Motorrad könnte trotzdem aus der falschen Richtung kommen.“ Damals klang es wie ein Witz, heute wie eine Überlebensregel.
Dabei modernisiert sich Pattaya rasant: Straßen werden erneuert, Gehwege verbreitert, der Tourismus entwickelt sich weiter. Doch die Fahrkultur hält mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Das stellt insbesondere ausländische Bewohner vor eine klare Wahl: Entweder sie akzeptieren die Verkehrsrealität der Stadt – chaotisch, unvorhersehbar, manchmal frustrierend, aber tief in Pattayas Identität verwurzelt – oder sie hinterfragen, ob Pattaya noch zu ihren Erwartungen und ihrer Risikobereitschaft passt.
Denn eines bleibt sicher: Pattayas Straßen werden sich nicht über Nacht ändern. Nicht nächsten Monat, nicht nächstes Jahr. Bis dahin bleibt nur zu entscheiden, wie man sich durch dieses Chaos bewegt – mit geschärften Reflexen, viel Geduld und dem Bewusstsein, dass die wahren Verkehrsregeln dieser Stadt nicht im Gesetzbuch stehen, sondern täglich neu auf der Straße ausgehandelt werden.









