Ruhestand in einer alternden Gesellschaft: Recht, Wirtschaft und der Wert menschlichen Kapitals

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Die Welt steht vor einem demografischen Wandel: Längere Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten belasten Rentensysteme, verkleinern den Arbeitskräftepool und zwingen Unternehmen, sich an eine alternde Belegschaft anzupassen.

Die Welt steht vor einem beispiellosen demografischen Wandel. Die Menschen leben länger, während die Geburtenraten in vielen Ländern weiterhin unter dem Ersatzniveau liegen. Dies führt zu weniger neuen Arbeitskräften auf dem Markt, erhöht den Druck auf staatliche Rentensysteme und stellt Unternehmen vor Herausforderungen im Umgang mit einer alternden Belegschaft.

Die Rentenalterfrage ist daher zu einem der dringendsten Themen geworden, denen sich Regierungen und Unternehmen stellen müssen: Soll das Arbeitsalter verlängert werden, um ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben zu halten, oder soll ein früherer Ruhestand ermöglicht werden, um den Übergang zu jüngeren, digital versierten Beschäftigten zu beschleunigen?



Lehren aus Europa und Japan
In Europa gilt die Verlängerung des Rentenalters inzwischen als Standardmaßnahme. Viele Länder haben das Alter von 60 auf 65 Jahre angehoben, einige streben inzwischen 70 Jahre an. Der Hauptgrund ist die Sicherung der Nachhaltigkeit staatlicher Rentensysteme. Mit steigender Lebenserwartung und wachsenden Gesundheitskosten müssen Regierungen das Eintrittsalter in den Ruhestand verschieben, um die öffentlichen Finanzen auszugleichen.

Japan hingegen wählt einen flexibleren Ansatz. Statt nur das Rentenalter zu verlängern, bietet das Land älteren Menschen Möglichkeiten, weiterhin in verschiedenen Bereichen zu arbeiten – vom Bus- und Bahnpersonal bis zu Servicekräften in Geschäften. Der japanische Ansatz erkennt an, dass ältere Arbeitnehmer keine Last sind, sondern bei richtiger Einbindung wertvolle Beiträge für Wirtschaft und Gesellschaft leisten.


Thailand: Ein entgegengesetzter Weg
Interessanterweise geht Thailand einen anderen Weg. Die Kasikorn Bank hat beispielsweise kürzlich eine Politik eingeführt, die Mitarbeitern einen Ruhestand ab 45 Jahren erlaubt – praktisch Frühverrentung. Der Grund liegt in der digitalen Transformation der Wirtschaft: Jüngere Mitarbeiter gelten als technologieaffiner, während ältere Arbeitnehmer bei digitalen Systemen Schwierigkeiten haben könnten. Frühverrentung wird so als Option dargestellt, um die organisatorische Leistungsfähigkeit an künftige Anforderungen anzupassen.

Auf makroökonomischer Ebene stellt sich jedoch die Frage: Ist Thailand wirklich bereit, eine frühzeitig ausscheidende mittlere Altersgruppe zu managen? Ohne strukturelle Maßnahmen wie Weiterbildungsprogramme oder ergänzende Sozialleistungen droht das Land, einen großen Teil seiner Bevölkerung in den Ruhestand zu drängen, obwohl viele körperlich gesund und arbeitsfähig sind.


Rechtliche Perspektive
Nach thailändischem Arbeitsrecht liegt das reguläre Rentenalter bei 60 Jahren, sofern Arbeitsverträge oder Unternehmensregelungen nichts anderes festlegen. Jede Änderung – ob Erhöhung oder Senkung – muss klar vereinbart werden. Prinzipiell hängt die Festlegung des Rentenalters direkt mit dem Recht auf Arbeit und der Würde der Arbeit zusammen. Zwingt ein Unternehmen oder der Staat Arbeitnehmer zu bestimmten Regelungen ohne Wahlmöglichkeit, könnten Grundrechte verletzt und Arbeitskonflikte ausgelöst werden.


Ökonomische Dimensionen
Rentenpolitik hat weitreichende wirtschaftliche Folgen:
Staatliche Belastung: Eine Verschiebung des Renteneintritts verringert sofortige Rentenzahlungen und entlastet die Staatsfinanzen. Frühverrentung verlängert dagegen die Dauer staatlicher Unterstützung.
Unternehmensbelastung: Ältere Mitarbeiter sind teurer, bringen aber Erfahrung, Netzwerke und Zuverlässigkeit. Jüngere Mitarbeiter sind günstiger, besitzen jedoch weniger Fachwissen und organisatorische Erfahrung.
Arbeitsmarkt-Dynamik: Thailand steuert auf Fachkräftemangel zu. Ein zu frühes Ausscheiden erfahrener Arbeitnehmer könnte Lücken in Management- und Spezialrollen hinterlassen.
Soziale Dimensionen
In Thailand gelten Rentner oft als „fertig mit ihren Pflichten“. Viele Menschen in ihren 60ern und sogar 70ern sind jedoch gesund, aktiv und arbeitsfähig. Frühzeitiger Ruhestand verschwendet menschliches Potenzial und kann psychologische Belastungen verursachen. Viele Ältere fühlen sich entwertet, obwohl sie Wissen, Energie und die Bereitschaft zur Mitwirkung besitzen.



Herausforderungen und Stärken von Baby Boomern und Generation X
Die betroffenen Generationen sind Baby Boomer (1946–1964) und Generation X (1965–1980), aktuell 45 bis 70 Jahre alt. Sie werden oft als digital weniger versiert wahrgenommen, verfügen jedoch über:
1. Disziplin und Verantwortungsbewusstsein
2. Jahrzehnte praktischer Berufserfahrung
3. Weite Geschäfts- und Sozialnetzwerke
4. Geduld und Problemlösungsfähigkeit

Die Frage lautet, ob Thailand dieses Potenzial „aufgeben“ oder in Weiterqualifizierung investieren wird.


Auf dem Weg zu einem ausgewogenen Ansatz für Thailand
Die Erfahrungen aus Europa und Japan zeigen: Es gibt keine Einheitslösung. Thailand benötigt ein flexibles und faires System, statt starrer Rentenregelungen. Arbeitnehmer sollten innerhalb eines angemessenen Altersrahmens (z. B. 55–70 Jahre) wählen können, wann sie in Ruhestand gehen. Arbeitgeber sollten Arbeitsplätze schaffen, die besonders Erfahrung und Glaubwürdigkeit nutzen. Digitale Kompetenzlücken zwischen Generationen sollten geschlossen und Leistungsbewertungssysteme eher nach Fähigkeit als nach Alter ausgerichtet werden.